Dienstag, 23. Juli 2013

Abschied von Longo Mai: das Schiff legt ab

Ein dicker Käfer versucht vergeblich durch das Moskitonetz zu gelangen. Orientierungslos fliegt er im Raum herum und stößt mit einem dumpfen Aufprall mal gegen die Wand, mal gegen die Zimmerdecke. Dabei brummt er so laut, dass mein Trommelfell vibriert. Ich ziehe meine Decke hoch bis zum Kinn.
Dauerregen nach Hitzewallungen, herzliche Gastfreundschaft, falsches Lachen, leckeres Essen, viel, viel leckeres Essen, eine Verfolgungsjagt mit einem Pferd, Ignoranz, kühle Emotionen, heiße Emotionen, Drama, Verrat und Angriff, Klatsch und Tratsch, eine bundesdeutsch-österreichische Sprachdiskussion, frische Früchte im Überfluss und Kaffee in rauen Mengen - der Abschiedstag; er hat sie gehabt, die volle, aufreibende Ladung Longo Maï. Von allem, was symbolisch steht für dieses Dorf, in dem ich während meines Auslandsdienstes gelebt und gearbeitet habe, gab es einen kleinen, konzentrierten Ausschnitt wie in einem bunten Presentkorb zum Abschied mit auf den Weg. Manch ein Geschenk, dass uns Longo Maï machte, war lieblos und gefiel uns gar nicht. Gelächelt und bedankt haben wir uns natürlich trotzdem immer freundlich, das gebietet die Höflichkeit. Manch anderes war genau nach unserem Geschmack, nicht selten übertraf es jede Erwartung und bereicherte unsere großartige Zeit. Eines aber hatte jedes einzelne Erfahrungspaket, das dieser Projektort für uns bereit hielt, ohne Ausnahme inne - das immense Überraschungsmoment. Wenn wir uns nur in einem Punkt stets sicher sein konnten, dann, dass wir uns in nichts jemals sicher sein konnten. 

Der zerdellte Käfer hat vorerst aufgegeben. Ich starre zur Decke und überlege angestrengt, was ich am ersten Abend vorm Einschlafen gedacht, gefühlt habe. Zunächst einmal habe ich die ganzen Regenwaldgeräusche noch deutlich als etwas Besonderes wahrgenommen. Auch jetzt lärmen die Zikaden. Die Beschallung erfolgt kontinuierlich schwankend wie bei einem kleinen Kind, das den Lautstärkeregler an der Musikanlage gefunden hat und nun das Störgeräusch auf und ab dreht, auf und ab, auf und ab. In das Konzert mischen sich bizarre Vogel- und Froschgesänge. Ein Geselle erschrickt sich dauernd: "huuuuuach?" "huuuach?" "huuuuuuuuuuuach?". Ein anderer Gefährte keckert keck. Dabei wird er immer schneller und lauter. Und wer genau hinhört, kann einen dritten Knaben um Hilfe schreien hören. Wie jeden abend von der gleichen Uhrzeit an. Mir fällt es längst nicht mehr auf.
Ansonsten habe ich eigentlich sehr ähnliche Gedanken gehabt wir jetzt auch wieder. Damals konnte ich nicht fassen, dass dieses Jahr mir wirklich bevorsteht, nun, dass es schon wieder vorbei sein soll. Auch jetzt wieder freue ich mich auf das, was vor mir liegt und habe gleichzeitig ein flaues Gefühl im Magen, hinter mir zu lassen, was ich mir aufgebaut habe. 



Im Dauerlauf vergingen die Tage nach meinem Geburtstag. Ich habe jede noch so flüchtige Minute voll und ganz genossen, alle Eindrücke, Farben und Gerüche aufgesogen wie ein Schwamm. Meine Gastmama hat mich wie immer verlässlich gestützt darin, alle abschließenden Besorgungen und Besuche zu machen und ich unterstelle ihr, sie hat sich noch einmal gesondert ins Zeug gelegt, mich zudem mit meinen Lieblingsspeisen zu verwöhnen. Dabei haben wir immer voller Tatendrang nach vorne geschaut. Wir sind beide in der Hinsicht gleich, es bedarf keiner geschwollenen Worte oder traurigen Szenen, ein Blick genügt, eine kleine Geste und wir wissen, dass wir füreinander da sind und uns schon jetzt vermissen. Ähnlich erging es mir mit Dinia, Melvin, Lupe, Don Pedro, Doña Elena, Doña Edith und den vielen anderen lieben Menschen, die mir so sehr ans Herz gewachsen sind. Einzig bei Sulmas Familie sprudelt es über an Emotionen. Wir singen bei allen Treffen, Sulma bekocht mich festlich und überreicht mir Speis' und Trank mit Trauermiene, die Zwillinge malen mir jeden Tag neue ergreifende Abschiedsbriefchen - es fühlt sich ein wenig an, als hätte man eine tödliche medizinische Diagnose. Entgegen meinen hartherzigen Versuchen, steinern zu bleiben, übermannt mich der romantische Kitsch zunehmend und ich werde rührselig wie die Stars unserer gemeinsamen Lieblingstelenovela.

Zur Strafe mussten meine Nachhilfeschüler dran glauben: Ich habe sie streng auf eine Englischprüfung vorbereitet, die sie eine Woche vor meiner Ausreise dann ablegen mussten. Dann ließ ich sie bis zum letzten Tag zappeln, ehe sie mir beinahe vor Aufregung geplatzt wären. Erst zum Abschied überreichte ich ihnen nicht nur die Nachricht, dass sie alle bestanden hatten, was mich sehr stolz macht, sondern obendrein ein offizielles Zertifikat von Kolping und Vida Nueva. Ich konnte Roland sowie Kolping Costa Rica davon überzeugen, die Schirmherrschaft für die Unterrichtsstunden zu übernehmen, damit den Kindern und Jugendlichen ein offizieller Sprachkurs bescheinigt werden kann. Sie freuten sich sichtlich; wir alberten rum, hörten Musik und schossen unzählige Fotos. 
















Abgesehen von den Menschen in Longo Maï, unseren neuen Freunden in Zentralamerika und der Zirkusbagage, mit denen ich übrigens eine kleinen Abschiedsauftritt in der Hauptstadt hatte, ehe diese auf Europatournee gehen, werde ich auch viele meiner großartigen Mitfreiwilligen vermissen. Deutsche Knalltüten, verrückte Ösis und kauzige Schweizer, wie sie sich wohl nur in Longo Maï tummeln. Stunden voller gemeinsamer Kreativität, fesselnder Neugierde, geteilter Freude, raumfüllender Herzlichkeit sowie gegenseitigem Respekt und Vertrauen sind diejenigen Dinge, auf die ich besonders gerne zurückblicken werde. 

Und da wäre noch Simon: Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie ein Leben ohne ihn aussehen soll. Für ein Jahr lang haben wir - fast immer zusammen mit Paula - jeden Tag Zeit miteinander verbracht als Nachbarn, Projektpartner, Vertraute und Freunde. Wir haben gemeinsam den höchsten Berg Costa Ricas bestiegen, sind frierend durch den Dauerregen und die sengende Hitze Panamas gezogen, haben bei Nacht und Nebel den Regenwald durchforstet, Naturwunder erlebt, uns durch unsere ersten Tanzstunden gequält, tapfer in rauen Mengen Chicha und Rum unsere Kehlen herunter gespült, zusammen der Trockenheit El Salvadors getrotzt, haben uns in schweren Zeiten aufgemuntert und so viele Male zum Lachen und Staunen gebracht. Zurück in der Heimat werden uns zwischen Hamburg und Wien knapp 1000km voneinander trennen.







Nicht zuletzt also, um dieser wunderbaren, gewachsenen Freundschaft die gebührende Ehre zu erweisen, bauten Simon und ich ein symbolträchtiges Schiff zum Abschied. Paula wurde die Aufgabe zuteil, das Segel zu verzieren. Wir veranstalteten ein großes Fest und luden das ganze Dorf ein, sich von uns und mit uns zu verabschieden. Bei einem prallen Vollmond zündeten wir unser Schiff mit Fackeln an und schickten es auf die Reise in die Welt. Lange standen unsere Gäste an der Feuerstelle, bis der Mast unter Funkensprühen einsank und schließlich nur doch die lodernde Glut die Gesichter der Menschen blutrot Färbte. Es war das erste Mal, dass ich das Dorf andächtig und still versammelt erlebte. Wir wurden von allen Seiten gedrückt, geknutscht und umarmt, dann begannen die Mariachis zu spielen. Tanz und Gesang wurden nur für eine herzhafte Schüssel Arroz con Pollo oder einen Roncito (ein Schlückchen Rum) unterbrochen. 







Jetzt liege ich also hier in meinem Bett unter dem Moskitonetz mit dem einen kleinen mit Tesa zugeklebten Schlupfloch und sinniere. Was habe ich richtig, was habe ich falsch gemacht? Emotional bin ich noch zu keiner Bewertung im Stande. Aber was habe ich erlebt und welche Projekte habe ich umsetzen können? Das sind Fragen, die mir durch den Kopf schießen, deren Beantwortung mir leichter fällt. Meine Erlebnisse sehe ich in schillernden Farben vor mir. Die Erinnerungen an traumhaften Urlaube, Reisen und Ausflüge sind frisch und lebendig. In meinem Kopf kann ich sie abrufen, entlanggehen oder anhalten und vor meinem geistigen Auge betrachten. Jeder Gedanke daran zurück macht mich glücklich und zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht. Costa Rica ist, das möchte ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich betonen, unabhängig von politischer oder sozialer Kritik, ein traumhafter Fleck auf der Erdkugel; vielleicht ist Costa Rica sogar das schönste Land der Welt. 



Ich habe mich verliebt in seine phänomenalen Landschaften, in denen kein Ort dem anderen gleicht, in dem Grün als Farbe ausreicht, um das bunteste Bild zu malen und in dem frische Früchte gleichermaßen wie seltene Tierarten niemals fehlen dürfen. Ich habe mich verliebt in seine Zeitrechnung, in der Stress ein Fremdwort ist und in der nichts wichtiger ist, kein Termin der Welt wichtiger sein kann, als die Familie, gutes Essen und das Leben selbst. Ich habe mich verliebt in die Landestraditionen, die mit spießiger Präzision, einem stolzerfüllten Herzen und der nötigen Prise Bescheidenheit jedes Jahr aufs neue zelebriert werden. Ich habe mich verliebt in seine Bewohnerinnen und Bewohner, die Fremden mit Neugierde, Unvoreingenommenheit und Offenheit begegnen, die GASTFREUNDSCHAFT groß schreiben, denen Teilen ein oberstes Prinzip ist, die in den blühendsten Ausführungen vom Pferd erzählen, ehe zuzugeben, dass sie keine Ahnung von etwas haben, und die mit ihrer unbezwingbaren guten Laune ansteckende Glückshormone bei jedem Menschen freisetzen, der sie zulässt.

Fleißig habe ich alles dokumentiert in meinem Reisetagebuch und Vieles auch auf meinem Blog. Ich möchte auch in einer von rosaroter Retro-Romantik weichgespülten Zukunft nachlesen können, wie ich gedacht, reflektiert und gehandelt habe. Andere Erfahrungen sind weniger für die Öffentlichkeit bestimmt, sie sind aber gleichermaßen präsent und ich werde sie nie vergessen, sie werden meine Zukunft mit prägen. Es geht dabei nicht um eine Erhöhung der Ereignisse, im Grunde ist es natürlich mit allen Erfahrungen im Leben so, aber im Zuge eines Freiwilligendienstes in einem zuvor völlig fremden Land, in einem zuvor völlig fremden Umfeld, das erste mal auf einem anderen Kontinent, werden manche Erlebnisse besonders intensiv und extrem erlebt. Vor allem an einem politisch, sozial, ökologisch und gesellschaftlich so komplexen und diversen Ort wie Longo Maï.

Auch die Frage nach dem, was ich gemacht habe, kann ich beantworten. Ich habe es Schwarz auf Weiß auf einem Weltwärts-Zertifikat, das mir die Kolping JGD ausgestellt haben. Auszugsweise lautet es dort:

Herr Vitello arbeitete im Rahmen seines Freiwilligendienstes mit der Kolpingfamilie "Camino de Amistad y Esperanza" sowie der Gruppe „Todas Unidas Para la Naturaleza" (TUNA) in Longo Maï, Costa Rica zusammen.
 Seine Aufgaben waren sehr vielseitig. Neben der täglichen Arbeit auf dem Feld mit Kaffee-, Zuckerrohr- und Gemüseernte, Zuckerrohr-Sähen oder dem Bestellen der Felder beziehungsweise Plantagen, unterrichtete er Erwachsenengruppen in Deutsch und Gruppen verschiedener Altersstufen in Englisch. Ferner gab er im Zuge einer Kooperation mit einem örtlichen Zirkusprojekt „Circo FantazzTico“, das ebenfalls von Kolping unterstützt wird, den jugendlichen Artistinnen und Artisten Italienischstunden, um sie auf eine bevorstehende Europatournee mit professionellen italienischen Clowns vorzubereiten.

 Gemeinsam mit seiner Projektpartnerin rief er außerdem eine Jugendgruppe ins Leben, die den jungen Menschen vor Ort Freizeitalternativen bieten, sie unabhängig ihrer Herkunft zusammenbringen und den jungen Menschen in Longo Maï ein Sprachrohr verschaffen sollte. Gemeinsam wurden Spenden gesammelt und ein Jugendzentrum in Form eines geräumigen Baumhauses gebaut. Schließlich konstituierte sich die Gruppe „SOMBRA“ selbstständig, formulierte eigenständige Ziele und verfolgte ihre Pläne ehrgeizig.

 Ebenfalls unterstützte Herr Vitello die Dorfgemeinschaft beim Tourismus und begleitete Touren als Übersetzer, arbeitete an der Website der Vereinigung und entwarf Postkarten für den Verkauf, deren Erlös einem gemeinnützigen Zweck zukam. 











Herr Vitello rief mit seinen Mitfreiwlligen das Recyclingprojekt der Dorfgemeinschaft wieder ins Leben und initiierte ein weitreichendes biologisches Observationsprojekt. Dafür holte er einen engagierten Biologen an den Projektort und leistete die Vernetzung zwischen der Universität San José, einer lokalen Umweltschutzorganisation, der UNAPROA, sowie den örtlichen Komitees und Gruppen. 

In diesem Rahmen realisierte Herr Vitello erste Seminare, Exkursionen und Vertiefungseinheiten mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die schließlich eine eigene Dynamik entwickelten. 

Das alljährlich stattfindende „Festival de las Artes y Culturas Longo Maï“   organisierte Herr Vitello als Teil des Festivalkomitees erfolgreich und tatkräftig in Form von Spendenakquise, der Bewerkstelligung rechtlicher Hürden, Vernetzungsarbeit, logistischen Aufgaben, der Motivation von Helferinnen und Helfern sowie dem Anwerben von  Künstlerinnen und Künstlern.

 Darüber war Herr Vitello beteiligt an der Gründung des vielschichtigen Ökologie-, Nachhaltigkeit- und Sozialprogrammes „Centro de Arte y Sostenibilidad Longo Maï“, einer Initiative der international bekannten Sängerin und Umweltaktivistin Guadalupe Urbina.
 Herr Vitello arbeitete schwerpunkttechnisch neben dem handwerklichen Bau des eigentlichen Zentrums an der Organisation des Freiwilligenprogramms sowie dem Aufbau einer tiefgreifenden Mentoringstruktur. Gemeinsam mit der kalifornischen Publisherin und Grafikdesignerin Verona Fonté erarbeitete und pflegte er zudem die Projekt-Homepage und übersetze Texte aus / in Deutsch, Spanisch und Englisch

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Wie nachhaltig das ist, was ich getan und initiiert habe, wird sich an der Zeit messen lassen müssen. Ich habe mich allerdings immer darum bemüht, lokale Partner in meine Projekte mit einzubinden und langfristige Ziele und Strukturen im Kopf gehabt, die auch ohne mich oder gar irgendeinen jungen Freiwilligen aus Europa eigenständig weiterlaufen. Vielleicht stimmt es, was wir zum Teil auf den Vorbereitungsseminaren lernen und was uns Weltwärts-Kritiker oft vorwerfen, dass wir eigennützig handeln, aus reinem Egoismus ins Ausland gehen und keine Hilfe vor Ort sind. Für mich persönlich muss ich das etwas relativieren. Ich habe mich nicht primär um einen Platz beworben, weil ich helfen wollte, sondern weil ich neugierig darauf war, völlig andere Kulturen kennenzulernen. Eigennützig war meine Bewerbung insofern, als dass ich mir eine solche Möglichkeit niemals ohne ein staatliches Förderprogramm hätte leisten können. Und tatsächlich, am Anfang habe ich unendlich viel persönlich gelernt, nicht zuletzt, weil sich die Menschen die Zeit nahmen, mir ihre Welt zu erklären und weil sie oft sehr geduldig mit mir waren. Allerdings fühlte ich mich mit jedem Tag wohler und sicherer in Land und Projekt und schon bald begann ich auf ganz eigene Initiative zu handeln. Geholfen hab ich dann doch, wenn eben jemand Hilfe brauchen konnte, so, wie ich es in Deutschland auch machen würde. Aber vor allem, habe ich mich an vielen Stellen gebraucht und willkommen gefühlt. Wenn ein staatliches Programm für Jugendliche so verläuft, dann entsteht ein Gewinn auf allen Seiten. Das war bei mir glücklicher Weise der Fall. Und dafür, dass ich diese Chance bekommen habe, bin ich unendlich dankbar.

Das reicht auch an Gedanken für einen Abend. Es wird nicht wirklich kühler, so wie normalerweise. Das bedeutet, sagt mir meine noch geschärfte meteorologische Bauernschläue, morgen wird ein heiß-schwüler Tag, vermutlich wird es gewittern und heftig regnen. „Gut so“, murmel ich mir in den Bart, bevor die Augen zufallen, „Dann wird der Abschied für Paula und mich morgen vielleicht wenigstens etwas leichter“.

Mittwoch, 3. Juli 2013

21

Für meinen Geburtstag rüstete ich mich in Nicaragua mit einer monstergroßen Flasche "Flor de Caña 7 años" aus. Der kam dann gestern auch zum Einsatz. Am 02. begann der frühe Morgen mit einer zehrenden Einkaufstour in Pérez. Bepackt bis unter beide Arme, spendierte Julia, meine südtiroler Mitfreiwillige und neue Gastschwester, mir ein Auto von der Carretera hoch ins Dorf. Bei Sulma bereiteten wir Pizza zu, machten Schokoladenpudding und - was auf keiner fiesta in Costa Rica fehlen darf - arroz con pollo (Reis mit Hühnchen. Ein wirklich leckeres Essen, das besonders schön wurde, als Ramón und die Mariachis begannen, exklusiv für mich zu spielen. Die ganze Familie von Sulma ist jetzt bereits rührselig, weil ich bald gehe und mir geht es ähnlich. Später spielten und sangen wir gemeinsam und auch Guadalupe war Feuer und Flamme. So ließ sie es sich nicht nehmen, mir ein Ständchen zu bieten. Ich schloss meine Augen und lauschte ihrer satten, traurigen Stimme. Das ist schon ein ganz besonderer Moment, wenn dir an deinem 21. Geburtstag mitten im Regenwald eine Frau ein Lied nur für dich singt, die schon mit Größen wie Tracy Chapman, Peter Gabriel, Bruce Springsteen oder Sting auf einer Bühne gestanden hat. Jeder Song kommt von Herzen, die Atmosphäre auf der Feier ist familiär und vertraut. Dafür bin ich Lupe, Sulma und natürlich meiner Gastmama Marta so unendlich dankbar, dass sie mir in meinem Jahr Geborgenheit und eine Familie geboten haben.






In der Nacht gab es dann eine Tanzfeier für mich. Die Jugendgruppe organisierte die Musik, so wurde es ein richtig schöner, typischer Casa Verde baile (Tanzabend) noch einmal zum Abschied.
Das "gemütliche Hereinfeiern" im Anschluss artete in eine feucht-fröhliche borrachera (Trinkgelage - ein verantwortungsvoller Umgang mit Alkohol ist von großer Wichtigkeit *Anm. d. Red.) aus. Ein toller Abend mit netten Leuten, Luftballons und lustigen Geschenken. Was kann ich mir mehr zum 21. wünschen?
Einen leckeren Geburtstagskuchen! Den gab es einmal von Paula und von Mama, die mir doch ernsthaft eine Schoko-Bombe aus Deutschland hat einfliegen lassen!!! Ein köstliches Meisterwerk und eine Karte mit dem Kommentar: "Wenn du nach Hause kommst, gibt es natürlich einen richtigen Kuchen, einen, der schmeckt." Da bin ich aber beruhigt, Muttern - diese fade Hässlichkeit aus Nougat hätte ich sonst als Beleidigung aufgefasst:


Am Geburtstagsmorgen war darüber hinaus ein Frühstück mit den anderen Freiwilligen von Lupe angesetzt worden. Bei der Einladung hatten wir in weiser Voraussicht - zum Wohle der weniger trinkfesten Gäste des Vorabends - den Zeitpunkt auf elf Uhr am Vormittag gelegt. Als ich um drei in der Nacht nach Hause kam, grüßte ich noch Doña Marta , die gerade aufstand, um die Ziegen zur Weide zu bringen. Die Sonne ging gerade auf und das Feuer für die Bohnen brannte bereits. Ich putzte mir die Zähne und kletterte beseelt ins Bett. Nur zwei Stunden später wurde ich von hektischem Geraschel und Wimmerlauten aus dem Schlaf gerissen. Julia, die ihren Abreisetag hatte, suchte hysterisch ihren Reisepass, der wie vom Erdboden verschluckt war. Den gesamten Morgen und Vormittag verbrachte ich damit, zu suchen, mit der italienischen Botschaft zu telefonieren und Julia zu unterstützen. So wurde der Abschied dramatisch, die Passfrage blieb vorerst noch offen.
Erst gegen Nachmittag versammelten wir uns schließlich auf Guadalupes Terrasse. Zwischenzeitlich erreichte uns die Nachricht, dass man Julias Pass gefunden hatte. Wir waren erleichtert, quatschen lange und unser Frühstück ging nahtlos in ein Mittagessen über. Danach rollten wir mit kugelrunden Schokoladenbäuchen zum reißenden Fluss, als Abkühlung gegen die heiße Mittagssonne.

Der Rest des Tages bestand daraus, Glückwünsche entgegenzunehmen und mehr oder minder zur Ruhe zu kommen. Gar nicht mal so leicht, denn die Kinder haben Schulferien, den ganzen Tag ist also volles Haus. Es war ein toller, langer Geburtstag, der ein Bisschen dafür entschädigt, schon ein so alter Sack zu sein.

Euch in der Heimat schicke ich meinen dicksten Dank für die Glückwünsche, Karten, Briefe, Geschenke und einfach, dass ihr an mich denkt!!! Das mache ich auch und freue mich schon darauf, wenn wir dann zu Hause nachfeiern.

Alles Liebe und pura vida,

euer Florian

Donnerstag, 27. Juni 2013

Ometepe: Eine Insel mit zwei Bergen


Aus meinem Reisetagebuch:
 

San Carlos, den 19.06.2013 (Tag 288)


Wir sitzen auf einer großen Fähre richtung Ometepe, die jeden Moment losfährt. Die letzten Tage waren ermüdend und voller schöner Dinge. [...] 
Beim Schreiben dieses Reisebucheintrages

Die Reise begann, wohin alle Wege in Costa Rica führen. In San José kauften wir gemütlich ein und am Abend schauten wir uns eine Komödie im Theater an. Am frühen Morgen des nächsten Tages ging es mit dem Bus nach Los Chiles.An jener kleinen Grenze zu Nicaragua erwartete uns zwar zum ersten Mal keine Warteschlange, dafür konnten wir dann über vier Stunden auf das Grenzboot warten. (Not oder Übel? Not!) Um den Inhalt unserer Blasen sowie etliche Gebühren erleichtert, befuhren wir schließlich den río San Juan. Das schöne Flusspanorama und die reiche Tierwelt mit Reihern, Tölpeln, Schildkröten und vielen weiteren prachtvollen Lebewesen entschädigte für die Horde an Verrückten, die uns an diesem Tag begegnete.


Militär von Nicaragua beim kleinen Grenzübergang Los Chiles

Die Kaserne zu photographieren ist strengstens verboten




Eine zentralamerikanische Standart-Einreiseprozedur später, saßen wir auch schon im nächsten Boot auf das Solentiname-Archipel. Auf dem traumhaft schönen Künstlerinselchen Mancarrón suchten wir uns ein Hostel. [...] Wir erkundeten das Idyll der Kreativen, das sich ebenso als Vogelparadies entpuppte, gingen baden, lasen und entspannten. Zum Glück durften wir für ein paar Dollar die Küche des Hostels nutzen, andernfalls wäre uns das Geld ausgegangen. Da wir weder die Zeit hatten, zuvor in San Carlos abzuheben und auch noch nicht fit genug mit dem Umrechnungskurs von Euro in Córdoba waren, noch auf der Insel ein Bankautomat vorhanden war, steckten wir zwei Tage fest und mussten gut haushalten. Wie Köche der Nachkriegszeit meisterten wir souverän die Situation, wobei auch unser bisher angesammeltes Wissen über die zentralamerikansiche Flora gekonnt zum Einsatz kam.


Unsere Gastmama im Hostel





Kunstvolle Nester


So reichte das Geld schließlich sogar, um am letzten Tag für ein' Appel un' 'n Ei (es gibt nicht wirklich Äpfel auf Mancarrón, dafür aber Mangos) ein Kanu zu mieten. Von sechs in der Früh bis halb sechs am Abend paddelten wir über den Lago Nica (*unnützes Wissen: Lago Nica = größter See Zentralamerikas, 9. größter See Amerikas, 19. größter See der Welt). [...]
Wir waren bestens vorbereitet mit Schwimmwesten, hart rationiertem Essensproviant, Klopapier, einer Tube Gesichtssonnencreme "extrastark" aus der Drogerie in Dortmund, Simons Rudererfahrung, meinen Bärenkräften, Paulas Wagemut, einem kleinen Stück Angelschnur inklusive Haken und einer Abfotografie der Landkarte. Lediglich eine Kleinigkeit hatten wir vergessen - Wasser. Die Sonne brannte heiß und ungnädig. Niemand hatte damit gerechnet WIE weit unser Ziel, eine Höhle mit präkolumbianischen Inschriften, weg lag. Doch zum Beißen ins eigene Hinterteil blieb überhaupt keine Zeit angesichts der unberührten Natur, die zum Staunen und Genießen gleichermaßen verleitete. Pflanzen und Tiere, wohin das Auge blickte. Ruhiges, sanftes Wasser. Wir stießen tatsächlich auf gleich mehrere Höhlen, eingelassen in Felsen. Beim Befahren stoben unzählige Fledermäuse hervor.
Einen Tölpel, der sich fatal in einer Angelschnur verheddert hatte, retteten wir heldenhaft. Paula wurde sogar gebissen, ehe ich den Vogel am Hals fixiert bekam. Mit Stolz geschwollener Brust ruderten wir, unsere lezten Kräfte mobilisierend, der Heimatinsel entgegen [...]






In den Höhlen leben viele, viele Fledermäuse




Nachdem wir ihn gerettet haben, warten wir noch auf den Preis von Greenpeace.
Mir persönlich würde auch eine Fahrt mit dem Schlauchboot in der Arktis
gegen Walfänger schon reichen als kleine Anerkennung

Sonnenschutz, wo teure Cremes versagen


Am Ende des Tages kratzten wir die letzten verbliebenen Notgroschen auf, um uns mit einem eisgekühlten Bier zu belohnen für die durchgemachten Strapazen. Mit sonnenbrandroten Köpfen saßen Simon und ich in der Küche, bereit unser gewohnt kärgliches Sparmahl einzunehmen, als Paula uns plötzlich mit einem Prachtexemplar von Fisch überrumpelte. Zwar nicht selbst gefangen, dafür aber energisch den Fischern gleich von der Route abgefeilscht; fast genauso schön und vor allem ein leckerer, gelungener Abschied von Mancarrón. [...]




Granada, den 22.06.2013 (Tag 231)

Die Überfahrt nach Ometepe dauerte lange und war anstrengend. Nach einer Nacht im Hostel, begannen wir die Erkundung der Insel mit zwei Bergen und im tiefen weiten See. Erste Station, "ojos de agua" (Augen des Wassers), die sich als Schwimmbad herausstellten, das mit Vulkanquellwasser gespeist wird. Trotz zweifelhafter Authentizität ein friedlicher, entspannter Ort. Noch besser gefiel mir sogar der darauf folgende Fußmarsch durch die Inselnatur, durchgängig mit See- und Vulkanpanorama. Beide Vulkane waren sanft in einen Nebelschleier umhüllt.




Als wir schließlich Santo Domingo, den Ortsteil zu dem unser angestrebtes Ziel, das berühmte Zopilote gehört, erreichten, fraß uns unser Hunger bald von Innen auf. In einem urigen Comedor mit Seeblick - tollende, trinkende Pferde am Strand und ein Papagei auf Paulas Schulter inklusive - gab es deftige Nicaraguanische Hausmannskost. Es gibt kaum etwas schöneres als zum perfekten Zeitpunkt das perfekte Restaurant am perfekten Ort. Lebensqualität pur kann dann schonmal für 6$ erwerblich sein. Wir waren glücklich, machten die Augen zu und genossen diesen Moment gegen Ende eines Jahres, das unglaublich und für uns alles andere als selbstverständlich war.[...] Auch die restliche Zeit auf der Insel ließen wir es uns gut gehen.





Lagune des kleines Vulkanes, den Paula und Simon tapfer erklommen



Heute verließen wir Ometepe vom Hafen Moyogualpa aus, wo ich Jonas und Julia, die ich in Riobamba (Ecuador) kennengelernt hatte, völlig überraschend wiedertraf. Die Welt ist so winzig! Nirgendwo spürt man das so deutlich wie als Ausländer in Lateinamerika. Aufregung des Tages war jedoch ein Unfall, den unser Chickenbus baute. Wie auf Sizilien kreuzen die Straßen von Ometepe permanent Oxen, Kühe, Schweine und andere Tiere. Unser Kamikaze-Fahrer rammte mit Schmackes einen Ochsenkarren und beförderte dessen Kutscher mit hohem Bogen in einen Graben. Anstelle eines Krankenwagens erschienen dreißig Minuten später zwei Polizisten mit M4 im Anschlag. Zum Glück kam der Bauer mit ein paar Schürfern davon und wir mit dem darauffolgenden Bus; es wurde eben wieder einmal kuschelig. Inzwischen sind wir über Rivas in Granada angekommen, wo wir wie es aussieht länger als geplant bleiben werden, Paula ist krank geworden und momentan stehen die Zeichen nicht auf Besserung.


"Keinen Müll wegschmeißen"
Standart-Schild, dass in ganz Lateinamerika nicht selten ungewollt zum netten Wortspiel avanciert:
botar = wegschmeißen; votar = wählen, beides wird wie "b" am Anfang ausgesprochen.



Granada wurde noch wunderschön. Trotz Perversion von auf Armut aufgebautem Tourismus, hat die Kolonialstadt nichts desto trotz ihr ganz eigenes Flair. Kultur, Geschichte, bunte Häuser. Hier abschließend noch einige Impressionen von der letzten Station unseres Urlaubs. Den mussten wir nämlich krankheitsbedingt abbrechen. Die entgültige Entscheidung fiel in San José, wo Paula und Simon beide merklich angeschlagen angelangten, dass es keine Weiterfahr nacht Limón oder Tortuguero geben wird. Das ist nur gut so, sonst hätten wir ja, wenn wir eines Tages nach Costa Rica zurückkehren werden, gar nichts Neues mehr zu entdecken - so viel, wie wir schon sehen durften! Was für ein grandioser Urlaub zum Abschied nochmal als eingespieltes Trio. 






Grabgefäße eines indigenen Volkes, die an den Bauch der Schwangeren Frau erinnern sollen,
um dem Toten so die Wiedergeburt zu ermöglichen


Gastspiel: Sambagruppe aus Brasilien,
für die Nicaraguaner gab es dann aber auch noch heißen Salsa




An einem Sonntag Nachmittag kann die sonst vor Leben pulsierende
Gastro- und Einkaufsmeile wie leergefegt sein





Schlange bei der Einreise nach Costa Rica. Längst Routine für uns - kein Grund, sich nicht aufzuregen!
Wir stehen hinter dem Zaun um die Ecke, nahe dem türkisen Reisebus.
Wilkommen in Costa Rica "Gott behüte deinen Weg"